Die Hand Gottes schreibt

Probekapitel aus "King of Chat" von Gary Speed



Die Hand Gottes schreibt 



Ruhm, Drogen, Verrat und ein herzliches Dankeschön an alle Beteiligten: „El Diego" heißt die neue Autobiografie von Diego Armando Maradona


„El sueno del pibe – der Traum eines Jungen" heißt sein Lieblingstango. Diego Maradona erfüllte ihn sich im Juni 1986, als er mit der argentinischen Nationalmannschaft Weltmeister im Azteken-Stadion von Mexiko wurde. Der 42-Jährige, der als „die Hand Gottes" bei einem Match gegen England zur legendären Fußball-Ikone wurde, zetert, stänkert und kritisiert nach Herzenslust in seiner Autobiografie, die im Dezember 2002 erschien. Er wittert gern Verrat – schon allein bei den Auslosungen der Mannschaften –, unterscheidet glasklar in Freund und Feind und lässt vor allem kein fußballerisch relevantes Detail aus.

Über fünf Buchseiten strecken sich die Danksagungen des Mannes mit der Che-Guevara-Tätowierung auf der Schulter, auf zwölf Seiten ist vom Kokain-Problem die Rede (das ihm 1991 eine 15-monatige Sperre einbrachte), die Mafia taucht dreimal auf. In erster Linie geht es dabei immer um den ewigen kleinen Jungen im Mann, der sich ungerecht behandelt fühlt.

 
"Es ist wahr, dass Gott und Comandante Fidel Castro mir im Jahr 2000 das Leben gerettet haben": D.A.M. spricht sich endlich aus

Aufgewachsen in einer Straße, für die es nur einen Wasserhahn gab, dribbelte der grimmig kämpfende Gossenjunge seine Jungs von der Jugendnationalmannschaft 1979 in Japan zum ersten WM-Sieg seiner Laufbahn. Fünf Jahre später feierten ihn 80.000 Neapolitaner als Neuzugang, als einen der ihren, dem auch prompt die Tränen in den Augen standen. El Diego war fassungslos: „Ich hatte einen hellblauen Jogginganzug an, einen Schal des SSC Neapel, ein weißes Puma-T-Shirt, und ich stand auf einer Fahne, die sie auf dem Boden ausgebreitet hatten. Zum ersten Mal hörte ich eine Hymne, die sie für mich komponiert hatten: „Maradona, mach sie alle nass/passiert’s nicht jetzt, passiert es nie/Dein Argentinien ist jetzt hier/länger warten wollen wir nicht mehr."

Bald bekommt sein Bild vom Paradies auf Erden die ersten Risse und sogar Eselsohren. „Wie ein Trottel bin ich mitgegangen und hab dabei auch noch gelacht", schreibt Maradona, der sich in seinem Buch sogar um die Bildunterschriften kümmert, über den entscheidenden Dopingtest

Auch im Umgang mit anderen Persönlichkeiten der Weltgeschichte eckt der gedrungen wirkende Traumspieler zuweilen an. „Ich war nach Monaco gekommen, um Stephanie oder Caroline zu sehen, und bin auf diesen dämlichen Albert gestoßen, der mich auch noch ein Vermögen hat löhnen lassen", schimpft der stolze Underdog über Prinz Albert von Monaco, der ihn mit der Rechnung im Restaurant sitzen ließ.

Seiner Frau Claudia, dem lieben Gott und Waffenbruder Fidel Castro vergisst er nie zu danken, auch tummelt sich auf über 400 Seiten häufig genug Schwulst à la „ich hatte das Glück, mehr als einmal mit ihm zusammenzukommen" und derlei Phrasen mehr.

Entscheidender Grund, das Buch zu kaufen, dürften aber Maradonas ganz persönliche Top 100 der besten Fußballer aller Zeiten sein – von Pelé bis David Beckham geht die Liste. So urteilt er über Lothar Matthäus (Platz 30): „Der beste Gegenspieler, den ich in meiner ganzen Karriere hatte." Und über Paul Breitner (78): „Man wusste überhaupt nie, auf welcher Position er spielte, er war überall."



Knaur Verlag, 432 Seiten, ab sofort im Buchhandel, ISBN 3-426-77653-7, 8,90








Probekapitel aus "King of Chat" von Gary Speed 



12. Sarah

Das Parkhaus am Flughafen Haan ist echt geil und der Stress bei einem Flug nicht so groß wie auf dem Frankfurter Großflughafen. Mit meinen 40 Latschos war ich echt gut bedient. Als ich in Irland ankam, war ich überrascht. Es war genau so warm wie in Deutschland. Im Flieger hab ich mir noch einmal den Computer-Ausdruck von Shannons Bild reingezogen. Ich war gespannt, ob ich im Club richtig zum Jammen kommen würde. Den Sampler durfte ich zum Glück mit in die Mühle nehmen, obwohl solche Gegenstände normalerweise verboten sind. Die Iren stehen eben auf Musiker. Von Shannon aus ging es nach meiner Ankunft nun circa zwei Stunden über Land mit dem Bus Richtung Westen. Es war ein wunderschöner Mittwoch mittag. Ich musste einmal mitten auf dem Land in einen anderen Bus umsteigen, in der nächsten Schrottmühle wusste ich dann kurz darauf endgültig: Wenn ich das nächste Mal aussteige, wartet dort eine weitere Internetbekanntschaft am Busbahnhof auf mich. Sarah erklärte mir bei der Wegbeschreibung, dass sie nicht direkt in Cork wohnen würde. Da es hier überall so frisch grün war, träumte ich voreilig schon von einem schön verträumten Vorort mit süßen kleinen Pubs und schnuckligen kleinen Häuschen.

Die Wahrheit war ernüchternd. Als der Bus das dritte Mal in eine neue Straße einbog, die so aussah, wie die zuvor. Plattenbau mag ja schon schlimm genug sein, aber diese Backsteinhäuschen, aneinandergepfercht wie in Legebatterien waren keinesfalls besser. Alle Backsteinhäuschen in diesem Vorort sahen gleich aus, haargenau gleich – unglaublich! Zudem standen an jeder Ecke Bierdosenjungs mit Selfmade-Tattoos herum – egal. Da vorn kam die entscheidende Bushaltestelle bedrohlich näher. Es wartete nur eine Person. Ein kleines junges Mädchen – oh no, es war Sarah. Ich stieg aus dem Bus, vollgepackt mit Tasche und Sampler und die kleine Sarah gab mir zur Begrüßung erst mal einen lieben, dicken Schmatz auf die Backe. Sie war kleiner als ich dachte und jünger. Aber egal – das konnte ich jetzt nicht ändern.

+++ Tipp: Wenn du erst mal irgendwo bei einer Internetbekanntschaft angekommen bist, lass es einfach flowen. Sei vorsichtig, was du tust – aber verkrampfe nicht. +++

Sarah war süß – das war zunächst mal das Wichtigste. “Should we go to a pub?”l, fragte sie mich mit einer wirklich lieben Stimme. Wir schauten uns kurz an und mussten dann beide lachen. “I cannot believe- is this reality? Sure we go to a pub.” Ich war entspannt – sichtlich entspannter als zuhause. Mir wurde erst jetzt klar, dass ich mir einen kleinen Kurzurlaub in ein total sympathisches Land mit supersympathischen Leuten rausgelassen habe. Die Bierdosenjungs prosteten mir zu, die Sonne schien, die Antennen auf den Backsteinhäusern funkelten – alles war in bester Ordnung.

+++ Tipp: Wenn es dir woanders in der Realität mal wirklich gut gefällt, lass es einfach flowen. Entspann dich einfach mal von der Computerkacke und genieße das Leben. +++

Das Pub war geil!. Es war ein original irisches Backsteinpub, wunderschön eingebettet in die anderen Irish-Backstein-Ppubs drumherum. Es war fünf Uhr und langsam kam Leben in die Straße. Die Iren kamen von der Arbeit und waren durstig. Draußen standen kleine Tischchen und als es voller wurde, stellten die Wirte noch mehr Stühle raus. Ein Typ mit Klampfe kam vorbei und spielte ausgerechnet “Whiskey in the Jar” von Thin Lizzy, eines meiner absoluten Lieblingslieder von der grünen Insel.

+++ Tipp: Hört Euch mal Thin Lizzy an. Bassist und Sänger Phil Lynott ist bis heute einer meiner Lieblingsmusiker geblieben. Ich wollte hier eigentlich nicht so viele Musiktipps geben, weil ich darüber eh noch ein eigenes Buch schreiben werde. Aber ihr solltet mal Thin Lizzy hören und dann dieses Feeling nachvollziehen, das ich damals hatte. +++

Der Sound ging mir wirklich tief ins Herz und auch die Offenheit und der Respekt, mit dem die Iren bei ein paar Bieren solchen Livesound honorieren, pushte mich zu total guter Laune. “You like this place?”, fragte mich Sarah nach den ersten Pints und ich schrie total befreit ”Yyyyaaaah!” Wir unterhielten uns jetzt eigentlich hauptsächlich über Irland, weil es mich wirklich total weggeflasht hatte. Und Sarah hatte, obwohl keine roten Haare, immerhin eine Menge süße Sommersprossen im Gesicht. Sie schien jeden hier zu kennen und deshalb nickte mir auch jeder freundlich zu. Zu den ersten Talks kam es aber erst, nachdem sich die Iren zwischendurch auch noch Kurze einbauten und auch mir so ein grün-bläuliches Teil vor die Nase hielten – der Kurze hatte eine Farbe, wie ich sie vorher noch nie gesehen hatte. Da jetzt eh schon alles zu spät war, knallte ich das Teil weg und bestellte für den kompletten Laden eine weitere Runde von dem Zeugs.

+++ Tipp: Check immer erst deine Finanzen, bevor du dir derlei Ausgaben leisten kannst. Wenn du kannst, dann tu es! +++

Jetzt johlten alle und ich ließ mich komplett in meinem Rausch gehen. Langsam wurde es dunkel, ein paar Wolken zogen vorbei. Die Farben waren abgespaced - ich habe so etwas niemals vorher gesehen. Es war ein ordentlicher Lilaton am Himmel zu erkennen - wunderschön. Zudem war die Stadt genauso hügelig wie meine Heimatstadt, ich schaute die Backsteinhäuserstraße hinunter - gar nicht so depro wie ich dachte, fast schon charmant – abartig, diese Farben! Sarah wurde jetzt von einem Typen mit Rugby-Shirt zugelabert und in mein linkes Ohr gab mir ein Typ von der Stadtplanungsbehörde ein genaues Bild davon. wie sich Cork bis zum Jahr 2020 verändern würde – und dass es in Cork businessmässig bald ordentlich abgehen würde. Ich achtete kaum noch auf meinen Sampler und das Gepäck, das immer noch in der Ecke stand; ich war mir sicher, hier kommt nichts weg – nicht hier in Cork in der Backsteinpubstraße.

+++ Tipp: Wenn du das Gefühl hast, du bist wirklich wie zu Hause – dann wird dir auch nichts
geklaut. +++


Trotzdem sammelte ich langsam meine sieben Sachen zusammen und sagte zu Sarah “Let´s go!” Sie war sofort einverstanden und wir liefen eine Straße hinab, um die nächste nach links wieder hochzulaufen. Wirklich fast wie in meiner Heimatstadt. Außer dass die hier auch noch das Meer direkt vor der Nase hatten – ein echtes Plus für Cork. Sarah schaute mich kurz vor dem Haus ernsthafter wie sonst an. “I live in a house with my parents. But no problem – you are welcome.” Sie hatte den Eltern schon vorher von meinem Besuch erzählt und da ich der erste Besuch dieser Art bin, hatten die wohl kein Problem damit – sie schienen open-minded zu sein.

+++ Tipp: Wenn die Eltern kein Problem damit haben, dass gleich ein verrückter, besoffener Deutscher einläuft – warum sollte ich dann eines haben. Bleib in solchen Situationen optimistisch und zieh die Sache freundlich durch – verkrampf nicht. Ein Abschluss geht auch unter einem Dach mit den Eltern. Und die Vibes waren hier insgesamt zehntausendmal besser als bei der unabhängigen, aber ekligen Bitch in Hamburg. +++

Wir waren beim Haus angekommen. Es war – wie ich mir schon dachte – ein Einheitsbacksteinhaus. Mann, hab ich eine Fahne, dachte ich mir. Wir brachten erst die Sachen hoch in das Zimmer, bevor wir runtergingen, um die Eltern zu begrüßen. Sarahs Zimmer war mittelgroß und angenehm unverbraucht eingerichtet. Viel Holz, dazwischen eine Galerie mit zahlreichen Partyflyers und nicht zuletzt eine überdimensionale Irlandfahne an der Wand. Ein wunderschöner Ort für den Abschluss dachte ich, musste jetzt aber endgültig die Treppe hinunter in das Wohnzimmer. Sind vielleicht sieben bis acht Jahre älter als ich, die beiden - echt okay, dachte ich mir. Zum Glück hielten sie mich noch für einen ganz jungen Schlawiner, weil ich noch ziemlich jung aussehe. Auf jeden Fall lachten Sie mich beide superfreundlich an. Entweder merkten sie nicht, dass ich total breit war oder sie fanden es okay. Wahrscheinlich war für die beiden ein ordentlicher Suff an einem Wochentagabend einfach das Normalste auf der ganzen Welt. “You wanna drink a beer?” Da – hab ich’s mir doch gedacht. “Sure”, sagte ich und schaute mir den Wohnraum mit kleinem Erker genauer an. Ich saß mit Sarah auf der Couch, wie ein junges Pärchen – das gefiel mir schon irgendwie ganz gut. Ganz schön spießig, das Zimmer, dachte ich. Da hingen eine Menge Zinnteller und die Vitrine war gefüllt mit verschiedenen Gläsern für alle erdenklichen Alkoholvarianten vom Fünf-Liter-Krug bis zu Stumpen für einen Kurzen. Extra aufgeräumt für den Besuch vom Festland hatte die Family zum Glück nicht. Das Bügeleisen stand in der Mitte vom Zimmer und die Kleider lagen überall verteilt herum. Der Pa kam zurück und hielt mir stolz zehn verschiedene Biersorten zur Auswahl unter die Nase. Sarah ging hoch auf ihr Zimmer. Sie müsse am nächsten Tag früh zur Schule sagte sie – ich solle einfach nachkommen. Der Pa bot mir schnell Freundschaft an – er hieß Frank.

+++ Tipp: Wenn du den Abschluss schon sicher in der Tasche hast, wie ich in diesem Moment, lass es bis zum großen Moment einfach flowen, genieße alles um dich herum, beobachte die Feinheiten. Wenn du dich mit einem Typen wie Frank verstehst, ist eine solche Situation für dich viel leichter – und vielleicht erzählt er dir ja in seinem bizarren Slang auch noch ein paar innovative Stories! +++

Es waren mindestens vier weitere Bier, die Frank und ich danach zischten. Sie schmeckten köstlich und auch die Mutter – Anne – hatte sich zwischenzeitlich Richtung Bett abgemeldet. Frank und ich waren allein. Er konnte mich anscheinend wirklich gut leiden, denn im Suff bot er mir an: “You cen fuk wit maaiiii daugther –she is moa ten äitin!” Dieses Gestammel und solche Art von Verbrüderung liefen mir in diesem Moment voll rein – “but dont mek shit wit heeeeeaaa, uuuuseee. Speed – yyyyyyuuuuuaaaaarrrr o.k.!”

Echt ein fantastischer Typ, dieser Frank – alle heute waren fantastisch drauf in Cork. Wir verabschiedeten uns überschwänglich – als es in die Betten ging. Er war bestens gelaunt und wußte genau, dass ich schon in paar Minuten seine Tochter vögeln würde. Was heißt hier Minuten – es waren Sekunden. Ich zog mich bis auf die Unterhose aus und kroch zu ihr ins Bett. Sie war schon nackt.

Als ich am nächsten Morgen den ersten Besoffenen schreien hörte, war es erst fünf Uhr. Ich war total verpeilt und holte instinktiv die Irland-Fahne von der Wand. Ich wickelte Sarah damit ein und feierte meinen Europa-Abschluss mit leichten Kopfschmerzen, aber überglücklich “I come back at one o´clock. Sleep long – that´s good for your shape”, sagte Sarah dann um sieben Uhr – kurz nachdem ich eingeschlafen war. Ist sie eigentlich immer gut gelaunt? - fragte ich mich und schlief ein. Um 7.20 Uhr bekam ich noch einen Kuss auf die Backe – das war aber nur im Halbwachzustand. Danach verfiel ich endgültig in ein Schlafkoma! Ich war ein glücklicher, aber leicht verkaterter Mensch.

+++ Tipp: Schlaft immer ordentlich aus nach so einer Nacht – denn die zweite Nacht wird meist noch schlimmer! +++

Um ein Uhr weckte mich Sarah mit einem dicken Kuss. Wir waren schon wie ein Pärchen – und das nach nur einer Nacht. Sie hatte den Nachmittag über nichts zu tun, das Wetter war schön. Wir fuhren ans Meer und ich gönnte mir megafrische Fish & Chips. Die Haare von Sarah wehten bei heute milden 23 Grad im Wind und ihr Mund schien im Sonnenschein wie aufgeblasen. Kurz musste ich an die “GeileBitch” denken. Klar wollte ich mir gestern nacht als Einstieg wieder als Erstes einen blasen lassen – aber ist das wirklich so schlimm? So schlimm, dass es sogar eine Weile öffentlich im Internet stand, angeprangert von “GeileBitch”? Schnell schwenkte ich wieder um auf Sarah und die irish feelings, um besser draufzukommen. Die kleine Bucht war wie aus dem Bilderbuch. Die Farben einmal mehr exzellent, besonders an einem Felsen, wo sich eigenartige Schatten bildeten. Mittlerweile zogen immer mehr Wolken auf und es wurde sofort ein paar Grade kälter. Aber für das Naturschauspiel lohnte sich das allemal. Wir nahmen uns in die Arme und liefen von dem Fish-&-Chips-Laden Richtung Klippen. Sarah hatte aus ihrer Tasche zwei Pullover gezaubert. Einen Strickpulli in dezent-grün für sich – sie sah darin aus wie eine echte Naturlady - und ein Umbro-Sweatshirt für mich – eine ganz exzellente Wahl. Die Pullover brauchten wir auch, denn das Wetter drehte wirklich extrem schnell um. Sarah wusste aber genau, dass es frühestens in zwei Stunden regnen würde. Und an den Cliffs wäre schon die nächste Bushaltestelle zum Heimfahren, falls es wirklich losgehen sollte. Sarah wollte mir etwas von der Landschaft zeigen und war ein aktiver Mensch – das empfand ich als sehr angenehm. Sie wollte unbedingt, dass ich etwas mitkriege und wir nicht nur abhängen. An den Klippen angekommen, setzten wir uns auf eine Decken, die sie auch noch aus Ihrem Rucksack holte. Sie legte ihren Kopf zwischen meinen Schoß und nahm eine Blume in den Mund. Ich könnte mich verlieben – aber halt – vergiss Li2 nicht, das grosse Ziel des Überseeficks, dachte ich bei mir und bleibe dem Konzept von King of Chat bloß treu. Ich musste meine Gefühle zügeln, war mir aber nicht ganz sicher, ob sie sich nicht am Ende verlieben würde – das wäre ja auch ein bisschen unangenehm. Doch lange konnte ich keine Gedanken mehr an solch wirres Zeug verschwenden. Eine Horde Schafe kam auf den Cliff zu und ihr lautes Gemeckere brachte mich sofort wieder auf gute Vibes. “It´s really beautiful in Ireland – like a dream.” Sogar der Schäfer grüßte uns fröhlich – überall freundliche Leute. Sarah fing an zu knutschen und ich bekam einen Dicken.

Zurück im Flat trank ich erst mal ein paar Bier mit Frank, um fit zu werden. Danach ging ich hoch zu Sarah und es erschien mir alles am zweiten Tag schon ein bisschen stereotyp – und gerade wegen dieser Selbstverständlichkeit klasse. Nach ein paar sehr schönen Abschlüssen mussten wir uns bereit machen für den Club. Ich ließ das Umbro-Sweatshirt an, Sarah motzte sich typisch britisch auf. Kurzes Trägerkleid, ein bisschen hochhackige Schuhe, billiger Schmuck und eine Menge Schminke. Echt stark – die Girls von der Insel sind angenehm zeitlos. “You´re looking beautiful”, gestand ich ihr.

+++ Tipp: So etwas müsst ihr den Frauen immer wieder sagen – aber nur, wenn sie sich auch wirklich Mühe geben. Dann dafür immer wieder. Es muss Euch Spaß machen, es zu sagen. +++

Sarah fühlte sich geschmeichelt. Der Club war ziemlich weit oben auf einem der Hügel. Es waren ein paar weniger Häuser als unten bei Sarah. Der Laden war mittelgroß und noch ziemlich leer, als wir ankamen. Der Türsteher ließ uns so rein, als er meinen Sampler sah. Viel voller würde es auch nicht mehr werden, es sei Donnerstag, sagte mir ein Fachmann. Doch Sarah hatte nicht gelogen. Sie hatte nie behauptet, der Laden sei proppevoll. Sie sprach von einer Session und die würde es schon noch geben. Zunächst legte aber nur ein DJ auf und die Tanzfläche war leer. “Let´s dance”, forderte mich Sarah mit Worten aus ihrem riesengroßen Mund auf.

+++ Tipp: So etwas lehnst du nicht ab. Tanzen befreit die Seele und ist immer gut. Du wirst in ähnlichen Situationen ab jetzt immer tanzen – außer. wenn die Musik wirklich richtig schlecht ist. Ist sie bei durchschnittlich oder mehr anszusiedeln – tanz, soviel es geht. +++

Der DJ spielte mittelmäßigen Trance, also gut genug zum Tanzen. Ich krächzte dazu und Sarah musste laut lachen. Erst jetzt fiel mir auf, dass sie nie viele Kumpels oder Freundinnen mitschleppte. Sie war echt selbstständig und genoss die Zeit mit dem lustigen Gast aus Germany hemmungslos. Und es schien auch keinen weiter zu jucken, was wir beiden so machten. Wir waren in unserer Welt.
Bislang schien mich als Deutscher auch wirklich keiner komisch zu finden, so wie das in England passieren kann. Du bist in Cork und hast deshalb einen Grund, in Cork zu sein – und das ist für die Leute schon Zeichen genug. Nach ein paar Nummmern Trance kam ein Typ mit Saxophon in die Box dazu. Er spielte wirres Zeug – aber das mit Gefühl. Die wenigen Besucher belohnten seinen Sound sofort mit einem Besuch auf der Tanzfläche, denn die Iren lieben Live-Musik. Der Club war immer noch nicht richtig voll und er würde auch nicht mehr voll werden, denn der Typ an der Türe machte den Laden dicht! “Why he is closing the door?” – ”Because we have no longer permission than now. Up from now it´s an illegal private party – enjoy it!” Dieser Touch von einer Privatparty in irgendeiner irischen Scheune beflügelte mich zu allerbester Party-Laune! Ich ging zur Box und tippte den Saxophonmann an. Dann flüsterte ich ihm ins Ohr, dass ich ein Sampler- und Mikrophonmann aus Deutschland wäre und jetzt gern in das Programm einsteigen würde. Er bat mich allerfreundlichst in die Box und ich stöpselte meine Kiste ein. Der DJ begrüßte mich ebenfalls sehr freundlich und ließ mir eine Kanne irisches Bier auf den Pult stellen. Ich war in meinem Traumzustand angekommen. Ein dritter Typ brachte mir wie bestellt ein Mikro vorbei – er war wohl der Allerbreiteste von den ganzen breiten Jungs, die jetzt um mich herumstanden. Ich holte Sarah noch in die Box dazu und schrie kurz darauf zum Einstieg erst Mal ordentlich ins Mikrophon. Das schien den Iren gut zu gefallen und war gleichzeitig der Aufruf für die spärliche Crowd, tutto completti auf dem dancefloor aufzulaufen. Als der DJ eine Platte nur mit Drumbeats auflegte, schmiss ich den Sampler an und haute irgendwelches Gequietsche dazu. Die Tanzfläche schrie und ich sah aus dem Augenwinkel, wie Sarah mich bewundernd anschaute. Das tat mir gut nach all den zähen Chat-Sessions ohne direkten Kontakt zu Menschen.

Sarah war echt okay und sie blieb den ganzen Abend über einen halben Meter hinter mir und gab mir irgendwie ein angenehm warmes Gefühl. Ein Gefühl, wie ich es im Chat nicht kenne. Es war trotzdem klüger, sich nicht in sie zu verlieben. Deshalb kümmerte ich mich um die Musik. Ich jagte mit den Jungs eine Super-Zwei-Stunden-Session durch – das Publikum tanzte konsequent durch. Wir ließen Sambabeats laufen und ich sang dazu einen Song von den Stone Roses – ziemlich experimentell. Ich war völlig verschwitzt und ziemlich besoffen, als ich mit Sarah im Arm den Laden verließ. Die Verabschiedung von den Iren war sehr herzlich. Sie schrieben mir ihre Telefonnummern auf Hände und Arme – sie wollten, dass ich irgendwann mal wieder vorbeikomme und wir dann nach Dublin zum Jammen fahren. Als wir zuhause ankamen, musste ich mich doch sehr wundern, dass Frank mal wieder wach war.

Ganz selbstverständlich ging er in die Küche, um uns noch zwei Dosen Bier zu holen. Sarah ging schon hoch auf ihr Zimmer – ich war schon wieder besoffen –, es war fast schon ein kleines Déjà-vu-Erlebnis. Frank war heute besonders breit. Er erzählte mir von dem Kack-Office, in dem er täglich arbeiten muss, der miesen Bezahlung und von den Geldproblemen, die ihn im Allgemeinen plagen. Er sagte mir auch, dass Sarahs richtiger Freund eine arrogante Londoner Sau war und ich viel cooler. Kurz war ich aufgeschreckt, als er mir sagte, dass Sarah einen Stecher aus London hat. Aber eigentlich war ich froh, jetzt konnte ich mich die letzte Nacht noch einmal total entspannen und völlig besoffen die letzten Abschlüsse einläuten. Ich fand Frank für einen Moment so okay, dass ich eine Gänsehaut bekam. Wir hörten zusammen Musik von Prefab Sprout und als wir “When love breaks down” sangen, bekam ich eine Gänsehaut. “Yuuuuu arrreee a naissss kraaauuut”, lallte er mich an und sah mich dabei mit seinem länglichen Gesicht unendlich ehrlich an. Sein Gesicht war geschmückt von einer langen roten Nase, die immer röter zu werden schien. Eigentlich sieht er Sarah gar nicht ähnlich, ob er überhaupt der Vater ist? Egal – nach ein paar Nummern von den Dubliners verabschiedete ich mich Richtung Bett. Sarah hatte für mich schwarze Strapse angezogen, war aber wohl zu dicht gewesen, um mich in den Teilen noch wach zu empfangen. Sie schlief und ich hörte sie das erste Mal ein bisschen Schnarchen. Mann – sie hat einen Freund, das ist ja echt super, dachte ich mir und weckte sie mit Nase zuhalten auf. Dann wollte ich die letzte Nacht einfach nur noch rammeln wie ein Kaninchen.

+++ Tipp: Wenn du in so einem Moment noch in der Lage bist, such dir etwas Romantischeres als Nase zuhalten aus. +++

Als der Wecker am nächsten Morgen um neun Uhr klingelte, hatte ich einen ziemlich dicken Schädel. Sarah war schon wach und kam mit einem frischen Kaffee ins Zimmer. Ich war völlig überrascht, als selbst Frank das erste Mal in Sarahs Zimmer auftauchte, um sich noch vor der Arbeit von mir zu verabschieden. “Speed – you were so great”, sagte er und umarmte mich dabei. Sein Druck war fest und ich spürte eine brüderliche Wärme durch uns fließen. “I know – you will come again”, sagte er mir noch mitten ins Gesicht und schon war er weg. Nur dreimal hatte ich in meinem Leben Bier mit ihm getrunken – das war alles -, und trotzdem wusste ich, ich werde Frank ein bisschen vermissen. Sarah erklärte mir, dass wir eine Stunde Zeit hätten, bis sie mich zum Bus bringen würde. “Come on - we do it one more time” - ich wollte Sarah noch einmal meine Potenz unter Beweis stellen, sie war einverstanden. Es dauerte wohl so zwanzig Minuten – wir hatten danach immer noch gepflegte 40 Minuten bis zu meiner Abfahrt. Ich fühlte mich irgendwie komisch und sagte das auch zu Sarah. Sie sagte mir, sie fühle sich auch komisch. “I have a friend in London”, gestand sie mir, was ich ja eh schon wusste. “Try to love him”, war meine recht merkwürdige Antwort. Wir schwiegen beide für zwei Minuten, dann sagte Sarah: “I give you the Umbro-Shirt.” Ich war gerührt - es war ein wirklich ehrliches Geschenk, dass mich garantiert immer an Cork erinnern wird, wenn ich es trage, dachte ich mir. Ich gab ihr einen dicken Schmatz und versprach, ihr bei Gelegenheit auch ein ganz tolles Geschenk zu machen.

Als wir zur Bushaltestelle liefen, war es wahrscheinlich gerade mal 15 Grad warm, ich konnte das Umbro-Shirt wirklich gut gebrauchen. Noch fünf Minuten, ich wurde wirklich nervös. Ich hatte den Vorort und Sarah wirklich recht schnell schätzen gelernt. Oh Gott – der Bus kam um die Ecke. “Sarah – I will never forget these days with you – thanks for all!”, waren meine letzten Worte. Danach gab ich ihr noch einen dicken Schmatz. Dann ging mein Blick nach vorn und ich sah demselben Busfahrer wie auf der Hinfahrt ins Gesicht. Eigentlich hatte ich noch keine richtigen Böcke auf Deutschland. Trotzdem – meine Kohle war knapp geworden, die nächsten Abschlüsse könnte ich nach dieser Exkursion maximal national planen, dachte ich mir. Apropos Kohle - warum habe ich eigentlich Frank keine 10 Pfund für das Bier da gelassen? Jetzt war es zu spät. Als ich im Flieger in meine Heimatstadt saß, beschloss ich sofort, den nächsten Abschluss zu suchen, um ja in keine emotionalen Beziehung zu Sarah zu verfallen. Ich beschloss, einen Abschluss zu suchen, der nicht über
www.icq.com laufen würde.



Gary Speed in 20 Sekunden
 
 

> Jahrgang '69, Musiker, MC ("Master of Ceremony"), Journalist und "Promotion-Stricher" (Selbsteinschätzung). In der Freizeit völlig begeisterter Boxer

> Deutsch-Holländer mit Roots in Stuttgart und Rotterdam

> kam zum Journalismus durch den Sieg bei der Wahl "Schönster Mann Stuttgarts" der Stadtzeitschrift "Prinz", dort auch Prakti gewesen

> "Die Frauenjagd", sagt Speed, "findet nicht mehr nur in der Disco statt, sondern interkulturell im Internet"

> Debüt: "King of Chat" (2002),
Homepage: www.garyspeed.de